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Der König der Berge

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Titel/Lead

Er schmückt das Bündner Wappen, ist Werbeträger Nummer 1 für den Tourismus und zurzeit eine begehrte Beute. Der Steinbock. Jeden Oktober pirschen die Steinbockjäger durch die Bündner Berge. Noch vor 100 Jahren war daran nicht zu denken.
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Jagd

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Sie ist ein Privileg, die Jagd auf das Bündner Wappentier. Die Vorschriften und Regeln kompliziert. Peter Marugg ist 66-jährig und seit fast 50 Jahren Bündner Jäger, als er im Frühjahr 2015 Glück hat. Er erhält grünes Licht für die Jagd auf den «König der Berge» im darauffolgenden Herbst. «Auf diese Chance habe ich 16 Jahre gewartet», sagt er. Pro Jahr werden rund 250 Jäger zur Steinbockjagd zugelassen. Im Vergleich dazu: Über 5'500 Jägerinnen und Jäger lösen jedes Jahr ein Hochjagdpatent für die Jagd auf das Reh-, Gams- und Hirschwild im September. Die Grösse der Steinbock-Kolonien bestimmt die Anzahl an zugelassenen Jägern. Die Wildhüter teilen die entsprechenden Gebiete zu, in welchen die Jäger pro Jahr insgesamt rund 500 Tiere erlegen.
  
Alte Jäger – grosse Böcke

 
Jeder Jäger darf sich für ein Wunschgebiet anmelden. Peter Marugg sucht sich ein Gebiet in seiner Heimatgemeinde Klosters aus. «Ich kenne mich hier bestens aus und möchte diesen Heimvorteil auch geniessen können.» Wie alle anderen, musste sich auch der Klosterser zehn Jahre gedulden, ehe er sich wieder anmelden durfte. «Diese Wartezeit nimmt jeder gerne in Kauf. Gerade deshalb hat die Steinbockjagd einen einmaligen Charakter», sagt er vor seiner dritten Steinbockjagd im Herbst.  

Sie soll die Krönung seiner Jagdkarriere werden. Er darf nämlich einen grossen, alten Bock erlegen. «Diese stolzen Tiere nur schon zu beobachten, beeindruckt mich zutiefst.» Das System der Steinbockjagd belohnt die alten Jäger mit der Möglichkeit auf eine grosse, begehrte Trophäe. Peter Marugg darf einen über elf-jährigen Steinbock schiessen. (vgl. Tabelle) Die Böcke der jüngeren Kategorien hat er bereits auf seinen ersten beiden Jagden nach dem Bündner Wappentier erlegt.  

Noch vor der Bockjagd muss aber jeder Jäger eine Steingeiss überlisten. Diese muss keiner bestimmten Alterskategorie angehören, darf aber kein Kitz führen. Sobald die Geissjagd erfolgreich war, geht die Suche nach einem passenden Bock los. Das Alter der Böcke bestimmen die Jäger mit Hilfe der Optik und ihrer Erfahrung. An den Hörnern kann ein geschulter Jäger abzählen, wie alt das Tier ist. «Als Jäger bist du nie zu 100 Prozent sicher», sagt Peter Marugg. Durch häufiges Beobachten habe er sich die entsprechende Erfahrung angeeignet.  

Delikatesse auf dem Teller

Insgesamt hat der Jäger im Monat Oktober 21 Tage Zeit, um zuerst eine Geiss und dann einen Bock zu erlegen. Hat er innerhalb dieser drei Wochen keinen Erfolg, muss er wieder zehn Jahre warten - bis zur nächsten Gelegenheit. Das begehrte Fleisch kommt also nur selten auf den Teller einer Jägerfamilie. Noch seltener werde es weiterverkauft, sagt Peter Marugg. «Es ist eine absolute Delikatesse», sagt auch Wildbiologe Hannes Jenny. Peter Marugg zieht einen Vergleich für Nichtkenner: «Von allen Wildtieren kommt das Fleisch des Steinbocks dem Rindfleisch am nächsten.»  
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Autor Men Marugg begleitet Peter und Gian Marugg auf die Steinbockjagd im letzten Oktober.

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Wiederansiedlung

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Steinbock komplett ausgerottet  

Gejagt werden die Steinböcke im Kanton Graubünden erst seit 1977 wieder. Das Wappentier durchlebte schwere Zeiten. 1526 war das Jagdrecht im Kanton Graubünden an das Volk zurückgegangen. «Zu dieser Zeit war dies einmalig in Europa», sagt Wildbiologe Hannes Jenny, «jeder Bürger durfte frei jagen.» Dazu entwickelte die Waffenindustrie zu dieser Zeit neue Schusswaffen. Unter diesen Bedingungen konnte der Steinbock nicht überleben: 1650 hatte der Mensch das Tier in der Schweiz komplett ausgerottet.  

Über 200 Jahre später gibt es erste Versuche der Wiederansiedlung. Eine Kreuzung zwischen Steinböcken und Hausziegen, bezeichnet als Bastarde, wird 1879 im Welschtobel bei Arosa ausgesetzt. Erfolglos. Nochmals über 40 Jahre später, 1920 am Piz Terza im Nationalpark im Engadin startet der nächste Versuch. Dieser ist erfolgreich und führt zur Gründung der Kolonie Albris in Pontresina. Bis heute ist diese Kolonie eine der stärksten in Graubünden.  

Wilderer rauben Steinbockkitze
 

Der Wiederansiedlung vorausgegangen, sind illegale Geschäfte. Es war allgemein bekannt, dass der italienische König Vittorio Emanuele II im Aosta-Tal, südlich des Wallis, eine Steinbockkolonie von rund 200 Tieren hielt. Es waren die letzten Tiere überhaupt im ganzen Alpenraum. Für gemeinsame Jagden auf das seltene Tier lud der König ausgewählte Gäste ein. Die Schweizer Regierung wusste von den Tieren und bat die italienische Hoheit um Hilfe. Er sollte Steinbockkitze an die Schweiz ausliefern. Der König lehnte mehrere Anfragen ab. Die Schweiz liess nicht locker und griff zu illegalen Mitteln. Der italienische Wilderer Joseph Berard sollte die Tiere in Italien einfangen und über die Grenze schmuggeln.  

1906 ist es soweit. Von Schmuggel kann aber nicht die Rede sein, weil der Zoll über das illegale Geschäft informiert ist und die Regierung sich finanziell beteiligt. Berard liefert die Tiere für 800 Franken, was in der heutigen Zeit 30'000 Franken entspricht. Im Tierpark Peter und Paul in St. Gallen werden sie aufgezogen und 1911 im Weisstannental ausgesetzt. Es ist die erste Aussetzung in der Schweiz. Insgesamt liefern Wilderer 59 Kitze in die Schweiz, wie es aus Dokumente des St. Galler Kantonsarchivs hervorgeht. Heute leben über 14'000 Tiere in der Schweiz, rund 6'000 davon alleine im Kanton Graubünden.
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Wildbiologe Flurin Camenisch über den Steinbock

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Lebensraum: Der Steinbock lebt oberhalb der Waldgrenze im Hochgebirge. Im Winter kann er sich auch in den Wald zurückziehen. Wegen seinen kurzen Beinen meidet er den Schnee so gut als möglich.

Fortpflanzung:
Steinböcke und Steingeissen leben meist getrennt voneinander. Die Geissen ziehen ihr Kitz in einer Gruppe mit anderen Geissen und teilweise jungen Böcken auf. Die Böcke leben ebenfalls in kleineren Gruppen. Vor der Brunftzeit im Dezember/Januar legen die Böcke untereinander die Rangordnung fest, anschliessend gesellen sie sich für die Paarung zu den Geissen. Bereits Ende Winter gehen die beiden Geschlechter wieder getrennte Wege. Die Geissen ziehen sich im Mai/Juni zurück und gebären ihr Kitz in schwer zugänglichen Nischen im Hochgebirge. Nach der Geburt kehren Mutter und Jungtier in die Gruppe zurück.

Gewicht/Alter:
Ein ausgewachsener Steinbock kann bis zu 100 Kilogramm schwer sein, eine Geiss wiegt bis zu 40 Kilogramm. Geissen können über 20 Jahre alt werden, Böcke werden selten älter als 15 Jahre.

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Tourismus

Foto: Graubünden Ferien
Foto: Graubünden Ferien
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Graubünden braucht den Steinbock  

Neben den Jägern gibt es noch eine viel grössere Interessengruppe des Steinbockes. Der Tourismus. Seit rund zehn Jahren wirbt Graubünden Ferien mit den zwei Steinböcken «Gian und Giachen». «Diese beiden haben eine regelrechte Fan-Gemeinschaft aufgebaut», sagt Myriam Keller von Graubünden Ferien. Laut einer aktuellen Wahrnehmungsstudie sei der Steinbock das mit Abstand bekannteste Werbesymbol im Tourismus. Über 60 Prozent der Befragten nennen das Bündner Wappentier, an welches sie sich spontan erinnern.  

Die Schweizer Regierung hat die Wiederansiedlung vorangetrieben und unterstützt, das Amt für Jagd und Fischerei des Kanton Graubünden ist zusammen mit den Jägern dafür verantwortlich, dass die Bestände sinnvoll und dem Lebensraum entsprechend reguliert werden und Graubünden Tourismus wirbt erfolgreich mit der Marke «Steinbock». Der Steinbock existiert heute nicht mehr bloss als Symbol auf dem Bündner Wappen, sondern ist zum existenziellen Bestandteil der Kanton Graubünden geworden.
Foto: Graubünden Ferien
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Video: Graubünden Ferien

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